Heute darf es im Glas ein bisschen perlen. Am 01. Oktober 2009 habe ich mein Unternehmen Convitas gegründet. Gern nehme ich Sie mit auf die Reise durch die Hochs und Tiefs der letzten Jahre.
Wie soll das Kind denn heißen?
Um ein Haar hätte mein Unternehmen „Kosmea“ geheißen – Konzepte und Service für Menschen im Alter. Doch dann klang mir das doch zu sehr nach Blumenladen oder Kosmetik.
Convitas ist ein Kunstwort, in dem irgendwie die Idee von Konzepten und Leben steckt. Heute ist das der Bereich meiner Selbständigkeit, der sich den Weiterbildungen von Pflege- und Betreuungskräften widmet. An der Stelle noch einmal ein herzliches Dankeschön an die Architektin und Grafikerin Gabriele Scharlipp, die mir beim Markenaufbau die richtigen Fragen gestellt hat.
„Welche Werte soll Dein Unternehmen ausstrahlen?“
- Zuversicht, dass man eine Situation immer verbessern kann
- Offenheit und Ermutigung, neue Wege auszuprobieren
- Exzellente Kompetenz
- Herzlichkeit
Auch wenn sich die Farben gerade etwas wandeln – die Werte stimmen immer noch.
Mit Hilfe von Daniel Thoss entstand damals meine erste Webseite, die für 2009 wirklich modern war und die mich richtig stolz gemacht hat. Danke, Dani!
Ob’s funktioniert, weißt Du erst hinterher
Das war die Lektion meiner ersten Beratung. Wir trafen uns in der Lobby eines Hotels, weil die Schränke in meinem Beratungsraum noch nicht aufgebaut waren. Frau H., eine Ehefrau, die ihren Mann seit vielen Jahren pflegte, ihre Tochter und ich. Wir redeten eine Stunde miteinander – ich machte Vorschläge, die alle nicht funktionierten und hatte am Ende keine Lösung. Es war schrecklich! Ich kam mir vor, wie eine Hochstaplerin!
Etwa vier Wochen danach begegneten wir uns wieder. Eine Angehörigengruppe hatte mich um einen Vortrag zum Thema Biografiearbeit gebeten. Mir rutschte das Herz in die Hose, als Frau H. aufstand.
Und dann sagte sie: „Ich will nur sagen, dass Frau Helms auch Beraterin ist. Ich habe mich beraten lassen. Und hinterher gingen mir Türen auf, von denen ich gar nicht mehr wusste, dass sie da waren!“
Wow!
Das war die Lektion, die ich wirklich brauchte, um eine gute Beraterin zu werden. Ich muss gar nicht alles wissen, denn die Ratsuchenden haben selbst alles, was sie brauchen, um den nächsten Schritt zu tun. Ich bin die, die sie wieder mit ihrer Kraft, ihrem Mut und ihrem Optimismus in Kontakt bringt.
Eine von 13 – mein erstes Demenzprojekt
Als die Robert Bosch Stiftung 2009 das Projekt „Demenzfreundliche Kommune“ erstmals bundesweit ausschrieb, war das von mir erstellte Radebeuler Projekt eines von 13 und das einzige in den neuen Bundesländern, das gefördert wurde.
Heute ist daraus der ein kleines, feines sächsisches Leuchtturmprojekt geworden. Danke liebe Fami, dass ich hier so viele coole Ideen umsetzen kann!
Möglich wurde das durch die Unterstützung der Kommune, aber auch durch das wertvolle Netzwerk engagierter Menschen im Themenbereich Demenz.
Marita Gerwin und Martin Polenz von der Arnsberger Lernwerkstatt Demenz waren für mich wichtige Ermutiger, Ideengeber und Wegbegleiter. Danke Euch!
Demenz als Thema der Kirchen
Haben Sie Lust, Ihr Projekt auf dem ökomenischen Kirchentag in München vorzustellen, nur eine kleine Projektskizze, 15 Minuten? Klar wollte ich! Vor ein paar Leuten zu reden, macht mir nicht aus und dass das Thema Dememz in der Kirche ankommt, war mir wichtig.
Als drei Wochen vor meinem Auftritt der Saalplan kam und ich sah, dass mein Vortrag im großen Saal mit 1200 Plätzen vorgesehen war, habe ich mich erst mal hingesetzt! Und dann ein Sprech- und Anti-Lampenfiebertraining gebucht.
Prof. Andreas Kruse, von dem ich ein Zitat zur Einstimmung vorbereitet hatte, saß übrigens in der ersten Reihe. Adrenalin pur!
Menschen mit Demenz sprechen für sich selbst
Auf dem Kongress „Stimmig“, den der Demenz-Support Stuttgart veranstaltete, traf ich erstmals Menschen mit Demenz, die öffentlich über ihre Erkrankung sprachen.
- Richard Taylor
- Christian Zimmermann
- James Mc Killop
- Helga Rohra
Diese Begegnungen haben meinen Blick auf die Demenz völlig verändert. Wir dürfen Menschen mit Demenz viel mehr zutrauen. Und wir brauchen endlich passende Angebote für Menschen am Beginn der Erkrankung.
Mit der Demenz-Aktivistin Helga Rohra verbindet mich seitdem eine herzliche Freundschaft. Danke Helga für die Unterstützung so vieler Projekte!
You will never walk alone
Demenz ist ein Thema das in der Gesellschaft angekommen ist. Plötzlich standen immer wieder Menschen vor meiner Tür, die mittun wollten. Nicht nur Pflegekräfte und pflegende Angehörige, auch Kindergärtnerinnen, Ergotherapeutinnen, Fotografinnen, Studenten der evangelischen Hochschule … So kam es zur Gründung der Alzheimer Gesellschaft Radebeul-Meißner Land, deren Vorsitzende ich bis heute bin.
Unsere Vision ist, das Bild von Demenz in der Öffentlichkeit zu verändern. Es darf nicht sein, dass der Wert eines Menschen an seiner Leitstungsfähigkeit gemessen wird. Menschen mit Demenz gehören zu uns und in die Mitte der Gesellschaft. Dafür haben wir übrigens den sächsischen Selbsthilfepreis bekommen.
Danke an Euch alle!
Mitarbeiter pflegen!
Wir hätten es auch „Mitarbeiter*innen pflegen!“ nennen können. Doch die Gendersprache war in den Unternehmen noch nicht angekommen. Und Männer sollten ausdrücklich mitgemeint sein 😉
Die pflegenden Angehörigen, die den täglichen Spagat zwischen Beruf und privater Pflege bewältigen, kommen erfahrungsgemäß zu spät in die Beratungsstellen – erst dann wenn sie völlig erschöpft sind und der Pflegeheimplatz der einzige Ausweg zu sein scheint, nachdem sie jahrelang ohne Unterstützung und professionelle Beratung gepflegt haben.
Wir haben damals die Unternehmen mit ins Boot geholt und mit einigen, die auch als vorbildliche Arbeitgeber in der Region gelten und die das Zertifikat Beruf und Familie erworben haben, bestehen Kooperationen bis heute. Und irgendwann gab’s dafür auch den Annerkennungspreis des Sächsischen Altershilfepreises.
Eine Homepage mit und für Menschen mit Demenz
Die UN-Behindertenrechtskonvention sagt, jeder Mensch hat das Recht Informationen so zu erhalten, dass er sie versteht. Aus diesem Ansatz entstand 2014 -2016 in Kooperation mit Menschen mit beginnender Demenz im Gesprächskreis Radebeul und der TU Dresden (Angewandte Linguistik + Angewandte Informatik) eine Homepage in leicht verständlicher Sprache.
2017/18 gab eine Förderung der Lokalen Allianzen für Menschen mit Demenz die Gelegenheit, die Seite mit Videos zu ergänzen.
Wenn also Menschen mit beginnender Demenz im Internet nach Informationen suchen, finden sie auf dieser Seite Artikel, die für sie geschrieben und von Menschen mit Demenz ausgewählt und probegelesen wurden.
Die Demenz-Aktivistin Helga Rohra war Schirmherrin dieses Projektes.
Selbsthilfe-Teilhabe-Mitbestimmung
Als Sachsen ohne Alzheimer-Landesverband dastand, habe ich mit vielen Engagierten aus den sächsischen Netzwerken einen neuen Landesverband, die Landesinitiative Demenz gegründet und war drei Jahre lang Vorsitzende. Hatten wir anfangs unser Büro im Kofferraum unserer Autos, so gibt es heute eine Geschäftsstelle mit fünf Mitarbeiter*innen und spannenden landesweiten Projekten.
Meinen Vorsitz habe ich aufgegeben, als die Demenz meiner Mutter versorgungsintensiv wurde. Ich wollte, dass sie so lange wie möglich in ihrer Wohnung, 50 km entfernt, leben konnte. Und ich bin stolz, dass mir das gelungen ist.
Heute bin ich Mitglied im Arbeitsausschuss „Qualität“ der Deutschen Alzheimer Gesellschaft.
Ein Ratgeber, der sich an Betroffene richtet und den auch Angehörige gern lesen
Genau vor einem Jahr erschien mein Buch „Es ist nicht alles Demenz“. Der Ernst Reinhardt Verlag war auf einem Kongress 2016 auf meinen Vortrag zur Homepage „Demenz in Sachsen“ aufmerksam geworden und wir hatten gemeinsam die Idee, ein Buch für Demenzbetroffene am Beginn der Erkrankung herauszubringen.
Das erste Buch ist wohl immer das Schwerste. Und ständig kam mir das Leben dazwischen. Die Krankheit meiner Mutter, spannende Projekte im Familienzentrum Radebeul, Hochzeiten, Todesfälle, Enkelkinder … Mehrfach war ich geneigt, die Sache an den Haken zu hängen. Ich danke dem Ernst Reinhard Verlag, allen voran Ulrike Landersdorfer für die Geduld und fürs beharrliche Mutmachen! Danke auch an Helga Rohra für das ermutigende Vorwort, in dem sie als Demenz-Betroffene anderen Menschen mit Demenz das Herz öffnet und Mut gibt.
Entstanden ist ein Buch, das zwischen den vielen Demenzratgebern im Buchladen liegt und winkt: „Nimm mich. Ich werde nichts beschönigen – aber ich werde dich an deine Potentiale erinnern und dir Mut auf deiner Reise machen!“ Möge es weiterhin vielen Menschen nützen.
Und heute? Heute habe ich den zweiten Autorenvertrag unterschrieben – diesmal geht es um die Pflege- und Betreuungskräfte und darum wie sie Menschen mit Demenz unterstützen können und dabei auch an sich selber denken. Dafür brauche ich keine vier Jahre. Es läuft!
Danke fürs Lesen.