Autofahren und Demenz war lange Zeit ein „Männerthema“, doch die Frauen holen auf. Viele Seniorinnen fahren ebenso gerne. Erfahren Sie, wie Sie einschätzen können, ob Ihr Angehöriger noch fahren darf und was Sie tun können, wenn die Fahrtauglichkeit nachlässt.
Diagnose Demenz – Ist der Führerschein jetzt automatisch weg?
„Ja, darfst Du denn jetzt überhaupt noch Auto fahren?“ Diese Frage, die sich Menschen nach der Diagnose selbst stellen und noch viel öfter von ihrer Umwelt hören, ist nicht so leicht zu beantworten. Generell möchte man als Autofahrer ja weder andere Menschen gefährden noch Dinge beschädigen. Gleichzeitig steht ein eigenes Fahrzeug für Mobilität und Unabhängigkeit.
Demenz ist nicht gleich Demenz
Jährlich erhalten laut einer Studie der Deutschen Alzheimer Gesellschaft in Deutschland mehr als 300.000 Menschen die Diagnose Demenz. Das sind etwa 900 Menschen pro Tag. Einige von ihnen erhalten die Diagnose sehr spät, nachdem sie selbst und ihre Familien das Thema schon viele Jahre verdrängt und den Alltag mehr oder weniger gut bewältigt haben.
Andere Menschen, so wie der 73jährige Bernhard Rother*, gehen (oder fahren) in einem viel früheren Stadium der Erkrankung zum Arzt. Bernhard ist seit zwei Jahren im Ruhestand. Zunächst schob die Familie seine zunehmende Vergesslichkeit auf die vielen Veränderungen in seinem Alltag. Seit dem Tod seiner Frau und dem Umzug in eine kleinere Wohnung war er nicht mehr der Alte.
Seine Tochter machte sich Sorgen. Er sei so zerstreut, vergesse immer wieder Abmachungen. Und auch das Chaos in seiner Wohnung gefiel ihr gar nicht, denn sie kannte ihren Vater als ordentlichen, gut strukturierten Mann. Doch nun waren auch nach 6 Monaten noch einige Kisten unausgepackt. Die Schranktüren standen ständig offen. So könne er sich besser erinnern, was wo zu finden sei.
Auf Drängen seiner Tochter ließ sich Bernhard Rother eine Überweisung in die Gedächtnisambulanz geben. Insgesamt drei Mal fuhr Bernhard dafür in die die 40 km entfernte Uniklinik der Landeshauptstadt. (Wie eine gute Diagnostik aussieht, können Sie hier nachlesen)
Bernhard war froh, seine Tochter an seiner Seite zu haben, als beim dritten Besuch die Diagnose verkündet wurde: Alzheimer Demenz im frühen Stadium. Er hatte das Gefühl, ins Bodenlose zu fallen. Hinters Steuer zu setzen, traute er sich an diesem Tag nicht mehr. Würde er es überhaupt noch dürften?
Was sagt eigentlich das Verkehrsrecht zum Thema Autofahren und Demenz?
Das Strassenverkehrsgesetz sagt:
Jeder Verkehrsteilnehmer hat die Pflicht seine Eignung zur Teilnahme am Straßenverkehr zu prüfen
Das Verkehrsrecht unterscheidet dabei Fahreignung und Fahrtüchtigkeit.
In den Begutachtungs-Leitlinien zur Kraftfahrereignung wird kein grundsätzliches Fahrverbot bei leichter Demenz gefordert, schreibt die Rechtsanwältin der Deutschen Alzheimer Gesellschaft, Bärbel Schönhof. Die Fahreignung, also die generelle Befähigung zum Führen eines Kraftfahrzeugs sei zu diesem Zeitpunkt in der Regel noch gegeben.
Was bedeutet das ganz genau, fragte sich Bernhard. Er wusste, dass Alkohol und einige Medikamente die Fahrtüchtigkeit einschränkten, ebenso wie Müdigkeit oder Krankheitsgefühl. Doch wie war das mit seiner Demenz?
Fahr-Fitness-Check und Mobilitäts-Check für Senioren
Im Internet fand Bernhard heraus, dass der ADAC einen Fahr-Fitness-Check für ältere Fahrer anbietet. Als ADAC-Mitglied zahlt er dafür nur 59 Euro. Begleitet von einem Fahrlehrer fährt Bernhard durch die kleinen Gassen seiner Heimatstadt, ein Stück Landstraße und dann zurück ein kurzes Stück über die Autobahn. Er macht seine Sache gut, das bestätigt ihm der Fahrlehrer. Dennoch gibt er ihm einige Hinweise mit auf den Weg, woran er erkennen kann, dass sich seine Fahreignung verschlechtert.
Bernhard hat sich zu einem Mobilitäts-Check bei der DEKRA angemeldet. Er möchte sicher sein, dass er noch fit genug kurze Strecken zum Einkaufen und längere Fahrten in seine alte Heimat ist. Beim Mobilitäts-Check werden neben der Fahrbeobachtung auch Sehkraft, Hörvermögen, Beweglichkeit und Belastbarkeit geprüft. Am Ende erhält Bernhard ein Zertifikat, dass seine aktuelle Fahreignung bestätigt.
Immerhin, hätte er den Test nicht bestanden, wäre keine Behörde benachrichtigt worden. Die Teilnehmer entscheiden selbst, wie Sie mit den Empfehlungen umgehen und welche Konsequenzen Sie daraus ziehen.
Die Deutsche Alzheimer Gesellschaft schreibt in ihrem Infoblatt zum Thema Autofahren und Demenz:
Für alle Formen der Demenz gilt, dass die Fahreignung im Verlauf der Krankheit abnimmt und dass das Autofahren bei einer mittelschweren und schweren Demenzerkrankung eingestellt werden muss.
Risiken minimieren
Bernhard bespricht mit seiner Tochter, worauf er in Zukunft in punkto Autofahren besonders achten wird. Beide sind froh, dass sich Bernhards verstorbene Frau beim letzten Autokauf mit ihrem Wunsch nach einem Automatik-Fahrzeug durchgesetzt hatte. Das macht ihm nun das Fahren leichter.
Darüber hinaus treffen sie folgende Vereinbarungen.
- Vor jedem Fahrtantritt prüft Bernhard genau, ob er sich wohl fühlt. Falls nicht, wird die Fahrt verschoben oder er bittet seine Tochter um Hilfe.
- Bernhard bevorzugt bekannte, kurze Strecken.
- Ist Bernhard unsicher, wo sich das Ziel befindet, nutzt er das Navigationsgerät, das er vor Fahrtantritt programmiert.
- Wenn möglich, werden Autobahnabschnitte und Gefahrenstellen vermieden.
- Bernhard vermeidet die Hauptverkehrszeiten.
- Er fährt nicht nachts oder bei schlechtem Wetter.
- Bernhard wird regelmäßig den Fitness-Check des ADAC nutzen.
Außerdem will Bernhard in diesem Jahr für den Adventsbesuch bei seinem Sohn die Bahn nutzen. Sein Enkel hat gerade die Fahrerlaubnis-Prüfung bestanden und wird sie vom Bahnhof abholen.
Wenn das Risiko zu hoch wird
Konrad Maywald* hat in den letzten Monaten mehrere Bagatellunfälle verursacht. Als ehemaliger Kraftfahrer kann der heute 80jährige gar nicht verstehen, wieso ihm so etwas immer wieder passiert. Sein Arzt weist ihn darauf hin, dass er auf Grund des schlechten Ergebnisses des Demenz-Tests und der verordneten Medikamente nicht mehr fahren dürfe.
In erster Linie geht es darum, keine Menschenleben zu gefährden. Doch Konrad Maywald nimmt auch ein finanzielles Risiko auf sich, wenn er sich nicht an die Empfehlung des Arztes hält. Im Falle eines weiteren Unfalls kann die Versicherung ihn durchaus zur Kasse bitten.
Hier noch mal ein Auszug aus dem Infoblatt:
Wenn ein demenzkranker Mensch einen Unfall verursacht, muss zunächst die Kfz-Haftpflichtversicherung den Schaden, den Dritte erleiden, nach vertraglichen und gesetzlichen Vorschriften regulieren. Die Kfz-Haftpflichtversicherung kann sich jedoch einen Teil des Schadens ersetzen lassen. Angehörige können haftbar gemacht werden, wenn sie im Rahmen einer Vorsorgeverfügung oder einer rechtlichen Betreuung die Aufsichtspflicht haben und diese verletzen.
Auch strafrechtliche Konsequenzen kommen im Falle eines schweren Unfalls in Betracht.
Konrads Sohn ist erleichtert, als der Vater auf Anraten des Arztes seinen Autoschlüssel abgibt. Doch er weiß auch, wie wichtig dem Vater die mobile Unabhängigkeit ist. Gemeinsam haben sie ausgerechnet, wie viel Geld Konrad durch den Verkauf des Autos spart:
- Geld aus dem Verkauf des Fahrzeugs
- Gesparte Benzinkosten
- Gesparte Versicherung und KFZ-Steuer
- Gesparte Kosten für Wartungen und Reparaturen
Konrad Maywald staunt. Da kommt eine ganz schöne Summe zusammen. Tatsächlich kann er sich dafür ohne schlechtes Gewissen den Luxus eines Taxis gönnen. Sein Sohn hat ihm die Rufnummer der örtlichen Taxigesellschaft ausgedruckt und bringt sie dort an, wo früher der Autoschlüssel hing. So bleibt Konrad auch ohne Auto mobil.
Was tun, wenn der Fahrer/die Fahrerin nicht mehr fahrtauglich aber uneinsichtig ist?
Eine fortgeschrittene Demenz ist häufig mit fehlender Krankheitseinsicht verbunden. Dann suchen die Angehörigen nach Tipps und Tricks um den uneinsichtigen Betroffenen „auszutricksen“. Denn auch sie wollen, dass niemand zu Schaden kommt. Der Fahrer nicht. Das Auto nicht. Und auch keine fremden Personen.
Ich bin keine Freundin von unehrlichen Tricks. Und ich kenne einen Fall, wo der Vater, nachdem der Sohn das Auto stillgelegt hatte, losging und im Autohaus einen neuen, teuren SUV kaufte. (Der Verkauf war übrigens rechtens und ließ sich nicht rückabwickeln. Aber das ist eine andere Geschichte.)
Was funktionieren kann:
- Der Arzt/die Ärztin untersagt das Autofahren, zum Beispiel aufgrund von Medikamenten oder Seh-Behinderung.
- Die Ehefrau übernimmt das Chauffieren. Ich kenne 75jährige Frauen, die noch einmal ein paar Fahrstunden genommen haben und jetzt wieder kurze Strecken fahren.
- Das Auto dem Enkel geben, der es viel dringender braucht.
- Das Auto verkaufen und davon direkt Taxi-Gutscheine anschaffen.
- Einkäufe von einem Bringedienst anliefern lassen.
Was nicht gut funktioniert:
- Das Auto am gewohnten Platz abstellen aber fahruntüchtig machen (siehe oben).
- Das Auto vor der Haustür abstellen und den Schlüssel verstecken.
- Der/die Betroffene fährt nur noch, wenn der Partner daneben sitzt und Anweisungen gibt!
*Namen geändert
In meinem Buch „Es ist nicht alles Demenz“ gibt es ein ganzes Kapitel zum Thema „Autofahren“. Dort finden Sie auch eine Checkliste zum Thema Autofahren. Oder Sie schreiben mir eine Mail und ich sende Ihnen die Liste zu. Mit der 16-Punkte-Checkliste können Fahrer/in und Beifahrer/in selbst regelmäßig testen, ob sich die Fahreignung verändert.
Beratung to go
Die Fahreignung zum Führen eines KFZ besteht am Beginn einer Demenz-Erkrankung in vielen Fällen durchaus noch. Doch im Verlauf der Erkrankung gehen wesentliche Kompetenzen verloren. Niemand kann vorhersagen, wie lange die zum Autofahren notwendigen Fähigkeiten erhalten bleiben.
Die Hinweise und Empfehlungen des Haus- und Facharztes sind eine gute Grundlage für die Entscheidung für oder gegen das Autofahren. Auch bei Tests bei ADAC, DEKRA und TÜV erhält man eine realistische Einschätzung zur Fahrweise.
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