Erhöhtes Demenz-Risiko durch Medikamente? Das können Sie tun!
Alte Menschen haben oft viele gesundheitliche Beschwerden und nehmen entsprechend viele Medikamente ein. Einige davon stehen schon jahrelang auf dem Medikamentenplan, andere wiederum sollen die Nebenwirkungen eben dieser Arzneimittel abmildern. Doch was passiert in einem alten Körper, der mit so vielen Substanzen zurechtkommen muss?
Der Segen der Medikamente für Wohlbefinden und ein langes Leben
Medikamente sollen Erkrankungen effektiv behandeln. Sie können präventiv wirken, Symptome lindern, Krankheitsverläufe verlangsamen oder Krankheiten sogar heilen. Gerade im Bereich der Schmerzlinderung können die richtigen Medikamente in der richtigen Dosierung die Lebensqualität erheblich verbessern. Doch was, wenn im Alter die Zahl der Krankheiten zunimmt?
Die Liste der Medikamente, die häufig von älteren Menschen eingenommen werden, ist lang:
- Blutverdünnende Medikamente und Gerinnungshemmer um das Risiko von Schlaganfällen, Herzinfarkten und vaskulärer Demenz zu senken
- Blutdrucksenkende Medikamente
- Cholesterinsenkende Medikamente
- Medikamente gegen erhöhten Blutzucker
- Miktionsfördernde Medikamente zur Vermeidung von Inkontinenz
- Schmerzmittel
- Säureblocker für den Magen – auch um die Nebenwirkungen anderer Medikamente abzumildern
- Nicht verordnetet, rezeptfreie Medikamente, z. B. gegen Schlafprobleme oder Schmerzen
Bei Menschen mit Demenz lässt sich die Liste oft noch ergänzen um
- Antidementiva mit denen der Fortschritt der Alzheimer-Demenz verlangsamt werden soll
- Psychopharmaka zur Verminderung von Verhaltensauffälligkeiten
Aufgrund altersbedingter Veränderungen ihres Körpers reagieren Senioren und Seniorinnen empfindlicher auf bestimmte Medikamente. Dadurch erhöht sich das Risiko für unerwünschte Nebenwirkungen, wie Schwindel, Benommenheit, Magen-Darm-Probleme, Verwirrtheit oder Stürze.
Britische Wissenschaftler berichten in dieser Studie aus dem Jahr 2019, dass die langjährige Einnahme von bestimmten Medikamenten, die z.B. gegen Inkontinenz, Atemwegserkrankungen und depressiven Verstimmungen eingesetzt werden, die Wahrscheinlichkeit für eine Demenzerkrankung um fast 50% erhöhen.
Was als Segen gedacht ist, kann bei sogenannter Polypharmazie oder Polypharmakotherapie zum Problem werden. Werden mehr als fünf Medikamente gleichzeitig und dauerhaft eingenommen, sind die Folgen schwer kalkulierbar. Und auch rein pflanzliche Präparate, wie beispielsweise Johanniskraut und selbst gesunde Lebensmittel wie Grapefruits oder Joghurt können die Wirkungen von Medikamenten verändern.
Haben Sie einen Medikamentenplan?
Wer drei oder mehr Medikamente dauerhaft einnimmt, sollte einen Medikamentenplan besitzen. Dieser wird in der Regel von Ihrem Hausarzt ausgestellt. Bei ihm sollten alle Fäden zusammenlaufen. Das Ziel ist, alle relevanten Informationen zu den verschriebenen Medikamenten an einem zentralen Ort zusammenzufassen. Dadurch sollte es theoretisch möglich sein, ungünstige Wechselwirkungen zu erkennen und zu vermeiden.
Die Ärztezeitung berichtet davon, dass etwa 250.000 Krankenhauseinweisungen im Jahr in Deutschland auf Medikationsfehler zurückgeführt werden, die Verbraucherzentrale schreibt sogar von jährlich 500.000 vermeidbaren Medikationsfehlern, die zu erheblichen Gesundheitsgefährdungen und teilweise auch zum Tode führten. Eine Erhebung bei 500 „Apothekenpatienten“ in Westfalen-Lippe habe gezeigt, dass nur bei 6,5 Prozent der Patienten ein korrekter Medikationsplan geführt wurde. 30 Prozent der Pläne wiesen Lücken auf, die Selbstmedikation fehlte. 18 Prozent der Pläne enthielten längst abgesetzte Medikamente, 11 Prozent notierten falsche Dosierungen.
Wie also sieht es bei Ihnen aus?
- Haben Sie für Ihren Angehörigen einen Medikamentenplan?
- Sind dort wirklich die verordneten Medikamente aller behandelnden Ärzte aufgeführt? Denken Sie auch an den Urologen und an Ärzte, die Sie nur selten aufsuchen, deren Medikamente Sie oder Ihr Angehöriger immer noch einnehmen.
- Ist dieser Plan aktuell?
- Sind darauf auch alle selbst gekauften nicht rezeptpflichtigen Medikamente vermerkt, die Sie oder Ihr Angehöriger regelmäßig einnehmen?
Krankheits- und Demenz-Risiko durch Medikamente – die PRISCUS -Liste hilft
Seit vielen Jahren beschäftigen sich Mediziner und Pharmakologen mit der Frage, in welchem Grad Medikamente für ältere Menschen gesundheitsgefährdend sind und inwiefern zu alternativen Wirkstoffen geraten werden sollte. Eine Hilfe, die hier auch der behandelnde Arzt kennen sollte, ist die sogenannte PRISCUS-Liste.
Das Ergebnis ist in der PRISCUS-Liste abrufbar, die seit 2010 in Deutschland existiert und im Internet auch von Laien eingesehen werden kann. In diesem Jahr – 2023 – ist nun endlich wieder eine neue Version erhältlich, die der Entwicklung neuer Arzneien in den letzten 13 Jahren Rechnung trägt.
Ich werbe stets dafür, dass wir als Patienten, aber auch als Angehörige von Menschen mit Demenz selbst Verantwortung für unsere Gesundheit übernehmen. Als kritische, mündige Patienten sollten Sie also einen Blick auf diese Liste werfen, um zu sehen, ob sich nicht etwa ein „potenziell inadäquates Medikament“ auf Ihrem Medikamentenplan befindet.
ABER (ganz großes Aber!) ich rate dringend davon ab, selbstständig – ohne Rücksprache mit dem behandelnden Arzt – ein Medikament abzusetzen. Bitte machen Sie an dieser Stelle keine Alleingänge, sondern suchen Sie das Gespräch und bitten Sie um die Verordnung eines Mittels mit einem anderen, verträglicheren Wirkstoff.
Fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker … und natürlich auch die Ärztin und Apothekerin
Ich habe die Apothekerin gefragt, nachdem sich der Zustand meiner Mutter vor drei Monaten gravierend verschlechtert hatte. Obwohl mir die Pflegekräfte versicherten, dass es die Demenzerkrankung sei, die wieder einen „Schub gemacht“ hätte, wollte ich mich damit nicht zufriedengeben.
Meine Mutter, die uns noch vor wenigen Monaten mit ihrem unbändigen Laufdrang zur Verzweiflung gebracht hatte, saß nur noch apathisch auf ihrem Stuhl, war nicht mehr in der Lage, ihre Umwelt wahrzunehmen und brauchte in den 90 Minuten, die ich bei ihr war, ihre gesamte Energie und Aufmerksamkeit dafür, ein Stück Kuchen zu essen.
Ich ließ mir also den Medikamentenplan geben, der zu diesem Zeitpunkt mehr als 10 Medikamente enthielt und leitete ihn an eine Apothekerin weiter, die ihn ausführlich geprüft hat. Fazit:
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Eines der Medikamente überwand die Blut-Hirn-Schranke und ist als demenzauslösend bekannt. Dabei handelte es sich übrigens um ein Medikament, das meine Mutter vermutlich schon seit Jahrzehnten einnahm.
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Zwei weitere Medikamente, die völlig konträr wirkten, waren von zwei verschiedenen Fachärzten verordnet worden, die offenbar nichts voneinander wussten.
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Ein Schlafmittel sollte abgesetzt werden, da in der S3-Leitlinie Demenzen dafür keine Empfehlung gegeben wurde.
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Für die Gabe der Beruhigungsmittel wurde sowohl eine andere Dosierung als auch eine andere Verteilung der Dosis über den Tag empfohlen.
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Letztendlich stand auch die Frage im Raum, warum das Medikament gegen Demenz zu diesem Zeitpunkt abgesetzt worden war.
Aber der Arzt muss es doch wissen …
Ich möchte kein generelles Misstrauen gegen ärztliche Entscheidungen säen, aber für eine höhere Aufmerksamkeit sensibilisieren. Denn gerade Fachärzte wissen ja oft gar nicht, welche weiteren Medikamente ein Patient einnimmt, vor allem dann, wenn der Patient keine Angaben dazu macht oder machen kann. Hausärzte wiederum, bei denen alle Fäden zusammenlaufen, haben gerade im Bereich der Polypharmazie die schwere Aufgabe zu entscheiden, ob das fünfte oder zehnte verordnete Medikament nun wirklich noch die Wirkung im Körper des alten Menschen entfaltet, die ihm zugedacht ist.
Nein, Ärzte müssen und können eben auch nicht alles wissen. Der Arzt sieht die demenzkranke Person mehrmals im Jahr in der Praxis – für eine kurze Zeit, manchmal sind es nur fünf Minuten, im besten Falle auch mal eine halbe Stunde. Doch da Menschen mit Demenz aufgrund des schlechten Kurzzeitgedächtnisses nur wenig zu ihrem Befinden erzählen können, sind ihre Angaben als Angehöriger für die Wahl der richtigen therapeutischen Maßnahmen von großem Wert. Nach einer Veränderung der Medikation sollten Sie die demenzkranke Person ganz besonders gut beobachten.
- Ist er/sie jetzt unruhiger als zuvor oder im Gegenteil schläfriger?
- Klagt er/sie über Schwindelgefühle oder wird der Gang unsicherer? Kommt es sogar zu Stürzen?
- Verliert er/sie den Appetit?
Ebenso hilfreich ist es, regelmäßig zu hinterfragen, ob ein Medikament, dass irgendwann einmal, zum Beispiel gegen Aufstoßen und Sodbrennen verordnet wurde, heute noch erforderlich ist. Trauen Sie sich, auf Ihren Arzt zuzugehen und ihn auf Ihre Beobachtungen anzusprechen. In vielen Fällen gibt es alternative Präparate, die in diesem Falle verschrieben werden können.
Und was weiß der Apotheker?
Das habe ich jetzt gegoogelt und erfahren, dass das Pharmaziestudium zu den schwierigsten Studiengängen in Deutschland gehört. Es dauert acht Semester und besteht aus Fächern wie Organische und Anorganische Chemie, Pharmakologie und Toxikologie, Pharmazeutische Biologie, Klinische Pharmazie und Arzneimittelanalytik.
Nach dem vierten und dem achten Semester legen die Studierenden das erste und das zweite Staatsexamen ab. Danach folgen ein Praktisches Jahr und das dritte Staatsexamen. Erst dann dürfen ausgebildete Pharmazeut*innen die Approbation als Apotheker*in beantragen. Die Hürden sind also hoch – und in der Realität wird ein approbierter Apotheker dem Arzt ein guter Ratgeber in Sachen Medikation sein.
Lassen Sie eine Medikationsanalyse in der Apotheke machen
Zunächst sollten Sie sich erkundigen, ob Ihre Apotheke eine Medikationsanalyse anbietet. Apotheker*innen brauchen dafür eine besondere Zulassung, pharmazeutisches Personal darf diese Dienstleistung nicht durchführen. Sollte Ihre Apotheke das nicht anbieten, finden Sie die Information, welche Apotheke eine Medikationsanalyse durchführt, auch über die zuständige Landesapothekenkammer.
Wer bezahlt die Medikationsanalyse?
Seit 2022 ist diese Dienstleistung sowohl für Kassenpatienten als auch für privat Versicherte einmal jährlich – und bei größeren Veränderungen – kostenfrei. Die Apotheken rechnen direkt mit den Krankenkassen ab. Auch privat Versicherte erhalten keine Rechnung. Für sie erfolgt die Abrechnung direkt zwischen der Apotheke und dem Nacht- und Notdienstfonds.
So gehen Sie vor
Vereinbaren Sie einen Termin und nehmen Sie sich Zeit dafür. Nehmen sie den aktuellen Medikamentenplan (oder mehrere, falls es verschiedene von mehreren Ärzten gibt) mit. Auch Arzt- und Entlassungsbriefe sind hilfreich, damit sich die Apothekerin ein umfassendes Bild machen kann. Für die Auswertung kann es gerade bei umfangreichen Plänen einen weiteren Termin geben.
Im besten Falle ist mit der Medikation alles in Ordnung und Sie erhalten lediglich Hinweise zur Einnahme, zum Beispiel ob Nahrungsmittel wie Orangensaft oder Joghurt die Wirksamkeit verringern.
Empfiehlt der Apotheker oder die Apothekerin, so wie im Beispiel meiner Mutter, eine Veränderung der Medikation, so müssen Sie im nächsten Schritt Kontakt zu den jeweiligen Ärzten aufnehmen und um eine Änderung der Verordnungen bitten.
Ende gut, alles gut
Zumindest bei meiner Mutter war das so. Die Kommunikation mit den Ärzten war einfach, vieles wurde direkt so umgesetzt, wie die Apothekerin vorgeschlagen hatte, in einem Falle konnte der Arzt seine Entscheidung begründen.
Und meiner Mutter geht es wieder besser. Natürlich ist die Demenz nicht verschwunden. Mir jedenfalls hat diese Geschichte sehr klar gemacht, dass das Demenz-Risiko durch Medikamente nicht unterschätzt werden darf. Es ist eben nicht jede Verschlimmerung allein auf die Krankheit zurückzuführen.
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Schön zu lesen, dass es deiner Mutter durch die Medikamente Üperfrüfung wieder besser geht. Meines Erachtens ist es ebenfalls wichtig lokal bei seiner STammapotheke die Medikamente zu kaufen. Meistens gibt es die Möglichkeit dort eine Art Medikamentenkonto zu führen und wenn ein neues Medikament hinzu kommt das Probleme mit den anderen verursacht, bekomme ich eine Rückmeldung. Auch wenn ein Medikament mal teurer ist als bei der günstigsten Versandapotheke, so ist mir dieser Service es wert.
Liebe Rose, vielen Dank für diese Anmerkung. Das ist ein wichtiger Punkt und es ist gut, nicht nur den Arzt sondern auch die „Apotheke des Vertrauens“ zu haben. Im Pflegeheim läuft halt alles über einen (für mich) anonymen Blisterdienstleister, der die Medikamente besorgt und setzt.